Solidarität statt Restriktion und Angst

Schutzsuchende Geflüchtete werden zur Verhandlungsmasse – Hilfen gekürzt

Bremen, 2.11.23: Die Bundesregierung bestimmt aktuell ihren Kurs in der Flüchtlingspolitik – zu Lasten der Betroffenen. Zwar hat das Bundeskabinett gestern den gesetzlichen Zugang zum Arbeitsmarkt für einige Geflüchtete erleichtert, doch behördliche Hürden, wie die Beschäftigungsverordnung, bleiben bestehen und erschweren die berufliche Teilhabe. Bereits letzte Woche wurde auch das als „Abschiebepaket“ bezeichnete Rückführungs-verbesserungsgesetz gebilligt. Darin enthaltene Maßnahmen, wie etwa nächtliche Durchsuchungen von Gemeinschaftsunterkünften, sofortige Wohnsitzauflagen sowie räumliche Beschränkungen, verängstigen und re-traumatisieren Schutzsuchende und verunsichern ihre Unterstützer:innen.

 „Menschen, die vor Folter, Polizeigewalt und Verfolgung nach Deutschland geflohen sind, suchen Schutz. Allein die Androhung dieser Maßnahmen erzeugt ein Klima der Angst“,
so Björn Steuernagel, Vorstand des Vereins Refugio. „Es braucht mehr Solidarität und Verantwortung für eine adäquate Unterstützung und Versorgung.“

Wohlfahrtsverbände, Pro Asyl, Amnesty oder der Deutsche Anwaltsverein kritisieren ebenso den Grundrechtsverstoß des Gesetzes und halten die vermeintlich entlastenden Maßnahmen nicht für zielführend, da vielfach äußere Gründe für misslungene Abschiebungen verantwortlich sind. Engpässe und Belastungen in der Versorgung von Geflüchteten lassen sich stattdessen durch gezielte finanzielle und materielle Förderungen in den Kommunen verringern. Politische Beobachter:innen sehen in der jetzigen Debatte Parallelen zu den 1990er Jahren. Die aktuell angedrohte Härte im großen Stil und die erneute „Das Boot ist voll“-Rhetorik gegen geflüchtete Menschen und deren Grundrechte wird auf zynische Weise flankiert von Plänen der Bundesregierung, auch noch die Mittel für Gesundheit, Bildung, Soziales und Integration für Migrant:innen und Geflüchtete zu kürzen – allein im Bereich der Psychosozialen Hilfen um 60%.

Refugio, Beratungs- und Behandlungszentrum für Flüchtlinge und Folteropfer in Bremen und Bremerhaven, bietet Geflüchteten solch notwendige psychosoziale und therapeutische Hilfen. Das Bundesfamilienministerium wird die dafür bereit gestellten Mittel jedoch ab Januar 2024 um bis zu 100.000€ kürzen.
Betroffen davon sind bei Refugio vorrangig geflüchtete Kinder und Jugendliche aus Syrien, Afghanistan oder Irak, deren Therapien dann abgebrochen werden müssen. Neuaufnahmen werden extrem stark eingeschränkt. Besonders dramatisch ist das, weil diese aus Kriegs-gebieten geflohenen Kinder und Jugendlichen vielfach in Massenunterkünften leben müssen, ihre Eltern nicht arbeiten dürfen und sie selbst lange auf einen Schulplatz warten müssen. Sie haben kein soziales Netz, das sie auffängt. Ihr Gesundheitszustand wird sich verschlechtern statt zu bessern.

„Die therapeutische Unterstützung insbesondere für junge Geflüchtete zu kürzen, ist skandalös“, erklärt Marc Millies, Sprecher von Refugio. „Gerade aufgrund individueller Gewalterfahrungen und der aktuellen Lebenssituation, benötigen sie Entwicklungsförderung und therapeutische Angebote.“  

Wir wissen aus der Praxis, dass Menschen eine Vielzahl an extremen Gewaltsituationen und traumatischen Verlusten überleben können. Doch auch diejenigen, die genug Ressourcen haben, werden durch jeden neuen Kontrollverlust geschädigt – auch wenn sie ihn nur miterleben müssen. Die Stigmatisierung und permanente Angst vor (unangekündigten) Abschiebungen hat für traumatisierte Menschen ein enormes Destabilisierungspotential und wird die Vulnerabilität aller, die in Unterkünften leben müssen, langfristig erhöhen. 


„Niemand kann hier schlafen. Wenn die Polizei kommt, haben alle Angst.
Auch danach noch“,
stellt eine Klientin von Refugio fest. 


Anstatt das Klima der Angst zu verschärfen, sollten die lange bekannten und erprobten Lösungswege eingeschlagen werden. Solidarisch, für alle geflüchteten Menschen. Dazu gehört die finanzielle Unterstützung zur Versorgung Schutzsuchender, umfängliche Teilhabemöglichkeiten und die Aufhebung diskriminierender Gesetze.